Am 24. September wählen die Deutschen den neuen Bundestag. Im Westen nichts Neues. Alle 4 Jahre wieder.
Dieses Jahr ist für mich aber etwas Neues: unsere liebste Tochter auf der ganzen Welt geht wählen.
Ich muss wirklich zugeben, dass die deutsche politische Bildung bei unserer liebsten Tochter auf der ganzen Welt tatsächlich ihr Ziel erreicht hat, nämlich das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu fördern und die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zu motivieren und zu befähigen, mündig, kritisch und aktiv am politischen Leben teilzunehmen. Denn, als sie letzte Woche nach Hause kam war ihre erste Frage:
– Ist Post für mich da? Für die kommende Wahl meine ich.
Da sie kürzlich 18 geworden ist, war ihre Wahlbenachrichtigung noch nicht da (sie war später eingetroffen als unsere). Ich sah die Enttäuschung in ihrem Gesicht. Es könnte auch daran liegen, dass ihr der Schlaf fehlte.
Obwohl ich schon seit längerer Zeit den Rollentausch bemerkt habe, fühlte ich mich ein wenig unwohl, als sie am nächsten Morgen beim Kauen ihres Toasts am Frühstückstisch beiläufig erzählte:
– Hab die Wahlprogramme von SPD und CDU durchgelesen, sie unterscheiden sich kaum voneinander, im Grunde ist es egal, wen man wählt …
Ich interessiere mich nicht so sehr für Politik, verpasste jedoch keine Wahl, denn sonntags kann man in Deutschland nirgendswohin gehen, die Geschäfte haben ja alle zu, das einzige was auf hat, ist … das Wahllokal. Aber „Wahlprogramm“? Was ist das?Letzten Samstag sah ich Wahlstände vor dem Netto-Markt bei uns um die Ecke. Es wurden fleißig bunte Kugelschreiber verteilt, natürlich samt ein paar Flyer mit dick gedrucktem Slogan und Passphotos von Wahlkandidaten in überdimensionaler Größe mit übernatürlich freundlichem Lächeln.
– Haben Sie ein Wahlprogramm für mich? fragte ich.
Der Mann mit übernatürlich freundlichem Lächeln streckte mir ein paar Flyer entgegen:
– Wahlprogramm? Sowas haben wir hier nicht. Möchten Sie einen orangen Kugelschreiber?