Vor kurzem ist unsere allersliebste Tochter auf der ganzen Welt 18 geworden. Ein schönes Alter. Überall gepriesen. Sogar im Bundesgesetzbuch, denn am 22. März 1974 beschloss der Bundestag, die Altersgrenze zur Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen, wahrscheinlich eine verzweilfete Maßnahme zur Rettung des zum Greis werdenden deutschen Volkes, denn mit 18 darf man mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten und brav in die Rentenkasse einzahlen.
Am Abend des historischen Tags konnten wir nicht einschlafen. Wir wurden das Gefühl nicht los, dass uns etwas Wertvolles aus der Hand gelitten ist. Unseres Lebenswerk, die 4-Fs der Kindererziehung. Man möge sie als die „Hong-Gerhard-Methodik“ bezeichnen, ein Gemisch aus Frühlingsrolle-getunken-in-Senfsoße, oder wie mein allerliebster Ehemann auf der ganzen Welt mit Schrecken ausdrückte:
– Frau, wir haben einen Monster gezüchtet!
Das Rezept ist kein Geheimnis. Es umfasst 4 Fs.
1. Phase – Fordern
Zu Beginn ist das eigene Kind den Eltern gegenüber mehr oder weniger hörig. In dieser Phase solltet Ihr als Eltern ihre Vormachtstellung voll ausnutzen, Eure eigenen Interessen durchsetzen und Eure Defizite aus eigener Kindheit größtmöglich kompensieren: ein Instrument beherrschen (ich wurde als Kind gezungen, die traditionelle vietnamessiche Zitter zu lernen), eine exotische Sportart ausüben (vor Beginn des Unterrichts ging ich mit meinen Freundinnen ein paar Bahnen schwimmen, meine Großmutter war strikt dagegen, sie war der Meinung, das Chlorwasser schadet meine zarte Haut und vermindert somit die Chance, einem Mann zu gefallen, den sogenannten zukünftigen Ehemann), Klassenprimus zu werden (ist gängiger Zwang aller vietnamesischen Eltern) etc. Die Sätze wie „Du musst …“ und „Weil wir wollen, dass …“ sollten nicht dosiert, sondern gebetsmühlenartig eingesetzt werden, damit Eltern ihrer Wunschvorstellung vom perfekten Kind Nachdruck verleihen können. Im Klartext gesprochen, quetscht aus Euren Kindern zu dieser Zeit alles heraus, was nur irgendwie möglich ist, ohne zu wissen, was letztlich dabei heraus kommt.
2. Phase – Formen und Fördern
Schnell wird das Kind bald merken, dass es im Grunde nichts „musst“, schon gar nicht „weil wir es wollen“. Ab diesem Punkt schwindet die elterliche Vormachtstellung, und die Pubertät beginnt. Eltern, die zuvor in Phase 1 fleißig waren, können sich nun daran machen, ihre Kinder zu formen und zu fördern. Erfreulicherweise ist das nun weniger anstrengend als ständig nur zu fordern. Erwartet Ihr aber nichts Neues, da kommt nichts, und das was Ihr heraus gepresst habt, kann nur noch wachsen. Alle anderen bereuen letztlich ihr Leben lang die 1. Phase verschlafen zu haben.
Selbstverständlich sind alle guten Eigenschaften zu fördern, ebenso wichtig sind aber auch die weniger Guten oder gar Schlechten. Formt die Schlechten einfach etwas um, wie z.B. „Du weißt, dass du faul und unordentlich bist, aber räum wenigstens dein Zimmer auf, wenn Besuch kommt, das wirft ein besseres Licht auf dich (und inhärent betrachtet, natürlich auf uns auch)“. Denn gänzlich verschwinden werden diese nie.
Fördert ruhig die in Euren Augen weniger guten Talente, vielleicht lässt sich daraus später Kapital schlagen: „Ich weiß, dass du stundenlang vor dem Computer sitzen kannst, daher habe ich dir eine Domain und ein Buch über HTML-Programierung besorgt. Da kannst du alles posten, was du magst, und glaube mir, so etwas cooles haben deine Freunde bestimmt nicht“.
3. Phase – Feilschen
Wird das Kind erwachsen, sinkt sein Vertrauen in dem elterlichen Rat. Es wird nun Zeit, die Taktik zu wechseln. Feilscht aber nicht wie auf dem Bazar, sondern wie bei einer Firmenübernahme. Die Kunst liegt dabei, quasi nicht das Produkt schlecht machen, das man kaufen möchte, sondern den angemessen Preis dem Verkäufer durch abwägen von Tatsachen deutlich machen.
Bazar wäre: “Das Auto ist fast nur noch Schrott, du kriegst niemals 1000€ dafür. Ich gebe dir 900€, da zahle ich echt noch drauf!“
Warren-Buffett-Stil wäre: “Ich finde, Ihre Firma hat viele interessante Innovationen und ich würde es sehr gerne in unseres Konsortium aufnehmen. Doch es sind große Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erforderlich, die sich letztlich im Kaufpreis wieder finden müssen.“
Hong-Gerhard-Methodik wäre: „Wir finden es ganz toll, dass du dein Master machen möchtest. Wir finden aber auch, dass je früher du damit fertig wirst, desto besser und leichter ist es für dich. Nimm den Schwung mit, denn wir kennen Leute die nach dem Bachelor in der anschließenden Arbeitswelt nicht mehr die Kraft gefunden haben, um den Master auch wirklich zu beenden.“
4. Phase – Fehlt-Noch
Da wir uns mit unserer allersliebsten Tochter auf der ganzen Welt erst in Phase 3 befinden, müssen wir das vierte „F“ erstmal aussetzen. Aber glaubt ja nicht, dass wir aufhören, unseren Monster Freien Lauf zu geben, denn
Say goodbye to fighting about your allowance with your parents on your eighteenth birthday. That’s because you won’t get any.
Video „Happy 18th birthday“ für unsere allersliebste Tochter auf der ganzen Welt
Ein Kommentar zu „Die 4-Fs der Kindererziehung“